Halbzeit der Legislatur im Landtag

fairkehr/boell.de

Dr. Markus Büchler, MdL, Sprecher für Mobilität der Landtags-Grünen zieht Bilanz

Pressemitteilung, 7. Mai 2021.

Zur Halbzeit der Legislatur im Landtag schaut Dr. Markus Büchler, MdL, zurück auf die letzten zweieinhalb Jahre, spricht über die Schwerpunkte der grünen Verkehrspolitik im Freistaat und blickt voraus auf die nächsten Projekte.

Die Corona-Krise fordert uns alle heraus. Wie ist Ihre verkehrspolitische Einschätzung zum derzeitigen Krisenmanagement?

Dr. Markus Büchler: Die Corona-Krise hat auch beim Verkehr einiges durcheinandergewirbelt. Innerhalb kürzester Zeit gab es viel mehr Radverkehr, viele Leute haben den ÖPNV vermieden. Hier ist eine klare Linie aus dem Staatsministerium notwendig: wir müssen dafür sorgen, dass der Radverkehr weiter ausgebaut wird. Und wir müssen dafür sorgen, dass die öffentlichen Verkehrsmittel als starkes Rückgrat der Verkehrswende auch nach der Corona-Krise erhalten und dann ausgebaut werden. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat uns das bestätigt: wir müssen jetzt handeln für den Klimaschutz! Die Aktionen der Staatsregierung waren hier nicht hilfreich. Der Corona-Rettungsschirm für den ÖPNV ist in Bayern zögerlich und nicht vollständig umgesetzt worden. Hier brauchen wir ein viel klareres Bekenntnis zum ÖPNV!

Nun ist ja „Halbzeit“ in der Landtags-Legislatur. Wie war für Sie die erste Zeit im Landtag?

Nach zweieinhalb Jahren als Abgeordneter im Landtag, in denen ich jetzt ganz nah dran bin an der Arbeit der Staatsregierung, muss ich sagen: mein Fazit der Regierungsarbeit fällt nicht gut aus. Ministerpräsident Söder spricht vom “Autoland” Bayern und Verkehrsministerin Schreyer lehnt die Verkehrswende ausdrücklich ab. Folglich ist die Verkehrspolitik in Bayern unverändert in erster Linie Autopolitik. Radverkehr genießt ein Schattendasein und beim Ausbau des ÖPNVs sind die anderen Bundesländer teils sehr weit voraus. Wenn es darum geht, im Haushalt die Schwerpunkte zu setzen und das Geld wirklich dahin zu tun, wo es nötig ist, sehen wir in der Opposition – das passiert einfach nicht! Der Fokus liegt nach wie vor auf dem Ausbau des Straßennetzes. Alleine für die Staatsstraßen stehen 400 Millionen Euro pro Jahr im Haushalt. Für Bus und Bahn, für Rad- und Fußverkehr fehlt dieses Geld.

Was sind für Sie die großen Themen für die zweite Hälfte?

Unser verkehrspolitisches Ziel ist, den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Rad- und Fußverkehr eine Priorität zu geben gegenüber dem privaten Autoverkehr. Eine hohe Mobilität ist heute die Grundvoraussetzung für eine aktive Teilhabe an unserer Gesellschaft. Wir sehen es daher ganz klar als Aufgabe des Staates an, für alle Menschen, unabhängig vom Geldbeutel und von der eigenen persönlichen Situation, mobil sein zu können.

Wir wollen für Bayern ein umfassendes Mobilitätsgesetz, das den Vorrang des Umweltverbunds vor dem motorisierten Individualverkehr festschreibt. Das heißt in unserer Politik dann ganz klar: wir wollen mehr Geld und Ressourcen für Bus und Bahn, für Radwege und lebendige Innenstädte, in denen sich auch Fußgänger*innen, Kinder oder auch Menschen mit Rollstuhl oder Rollator sicher fühlen.

Was heißt das für den öffentlichen Nahverkehr?

Wir wollen den öffentlichen Nahverkehr massiv stärken. Wir brauchen große Anstrengungen, um nicht nur in den Städten, sondern auf dem Land Angebote zu schaffen als Alternativen zum Auto. Es gibt inzwischen viele Ideen für neue Formen der Mobilität, von Rufbussen bis zu anderen Sharing-Modellen. Das wollen wir fördern.

Ganz dringend ist aber meines Erachtens, dass wir die vorhandenen Angebote endlich vernetzen und für alle zugänglich machen. Es ist schier unglaublich, dass es in Bayern selbst heute im Jahr 2021 noch Landkreise gibt, in denen es überhaupt keinen Verkehrsverbund gibt. Wie das geht, haben wir gerade in einem Positionspapier vorgelegt: wir wollen nur noch fünf großflächige Verbünde für ganz Bayern und sinnvolle Konzepte für die Grenzregionen der Verbünde. Damit in Zukunft jede*r für eine Fahrt nur noch ein Ticket braucht, alle Fahrpläne und alle Verkehrsmittel aufeinander abgestimmt sind. Wir fordern vom Freistaat, dafür Geld in die Hand nehmen und den Prozess mit organisatorischen Ressourcen zu führen.

Beim Streckennetz ist auch der Bund beteiligt. Was planen Sie für den Nahverkehr auf der Schiene?

Gerade in Bayern gibt es in den letzten Jahrzehnten nur eine Richtung, was den Zugverkehr angeht: weg von der Schiene hin zur Straße. Wir brauchen gut ausgebauten, modernen, eng getakteten Schienenverkehr, flächendeckend. Dafür muss auch endlich das bestehende Schienennetz vollständig auf klimaschonende Antriebe umgestellt werden und soweit wie möglich elektrifiziert. Deswegen haben wir im Landtag gerade erfolgreich eine Elektrifizierungsoffensive für die Bahn durchgesetzt: Der Freistaat muss endlich die Bundesmittel ausschöpfen und entsprechende Projekte beantragen. Da hat Bayern dringenden Nachholbedarf.

Außerdem werden nach wie vor Strecken stillgelegt und Gleise herausgerissen, anstatt das noch vorhandene Netz wieder zu aktivieren. Begründung: mangelnde Wirtschaftlichkeit, die mit einer veralteten Berechnungsmethode begründet wird. Das müssen wir ändern. Vorher haben im Landtag dazu bereits ein Fachgespräch angeregt, das aufgezeigt hat: hier braucht es ein Engagement vom Freistaat. Wir fordern die Umsetzung der geplanten Reaktivierungsprojekte – wir wollen Investitionen ins Schienennetz auch in ländlichen Räumen statt der Blockadehaltung der Staatsregierung.

Die Grünen stehen sehr stark für die Verbesserung des Radverkehrs. Wie sehen Sie da die Perspektiven?

Wenn wir ernsthaft eine Verkehrswende wollen, dann müssen wir den Menschen auch die Möglichkeit geben, sich mit dem Fahrrad oder dem E-Bike sicher und bequem fortbewegen zu können. Für die Wege innerhalb von Orten und Städten brauchen wir dafür eine gute und dichte Radinfrastruktur mit sicheren Kreuzungen. Aber auch für längere Pendelstrecken zwischen 8 und 20 km hat man mit den E-Bikes inzwischen eine gute Alternative zum Auto. Dafür wollen wir ein gut ausgebautes und beschildertes Netz an Radschnellwegen schaffen, das über die kommunalen Grenzen hinweg funktioniert.

Als ersten Baustein für ein umfassendes Mobilitätsgesetz wollen wir für Bayern ein Radgesetz vorlegen. Dazu haben wir bereits umfassende Veranstaltungen abgehalten. Zunächst haben wir zu einem Fachgespräch eingeladen, das sehr fruchtbar war. Zahlreiche Expert*innen haben uns mit ihren Beiträgen in der Vorarbeit zum Radgesetz sehr weitergebracht. Im nächsten Schritt haben wir dann im Verkehrsausschuss des Bayerischen Landtags eine Anhörung zum Radverkehr initiiert. Besonders hier hat sich gezeigt: es ist dringender Handlungsbedarf und die Staatsregierung zögert. Die Vorschläge und Lösungen für eine Stärkung des Radverkehrs in Bayern liegen auf dem Tisch! Deswegen fordern wir: stärkere der Beratung und ein Unterstützungsprogramm der Kommunen beim Ausbau des Radverkehrs, insbesondere bei den Planungen für kommunenübergreifende Projekte, echte Investitionen mit einem Zeitplan für ein Radschnellwegnetz in ganz Bayern und ein klares Regelwerk für den Bau von Radwegen und sicheren Kreuzungen.

Die Gestaltung des täglichen Verkehrs muss ja vor Ort stattfinden. Wie sehen sie da die Rolle des Freistaats?

Ja, das ist für mich ist ein ganz wichtiger Aspekt: Verkehrspolitik betrifft ja nicht nur fahrende Fahrzeuge. Verkehrspolitik ist die Gestaltung von öffentlichem Raum vor Ort. Wie viel Platz geben wir dem Verkehr, dem Auto, dem Fußverkehr? Wenn wir hier größer denken, umdenken, verstehen wir: die Verkehrswende ist auch eine Vision für ein neues Zusammenleben im öffentlichen Raum. Dort, wo die Menschen Platz haben, in einem Ort oder einer Stadt, in der jede*r bequem und günstig vorankommt, verändert sich auch die Nutzung der Plätze und Straßen und das soziale Leben.

Hier sind die Kommunen gefragt, die vor Ort die besten Lösungen wissen. Ich war in den letzten zweieinhalb Jahren aber auch viel vor Ort unterwegs und im Austausch mit den Verantwortlichen in den Kommunen. Dabei ist mir klar geworden: die Ehrenamtlichen in den Kommunen sind hier sehr oft weiter als der Freistaat. Allerdings brauchen sie für die Umsetzung der Verkehrswende Beratung und Ressourcen. Wir brauchen viel mehr Engagement vom Freistaat bei Kofinanzierung von kommunalen Verkehrsprojekten und eine Agentur, die Best-Practice-Beispiele sammelt und vorhält. Warum soll denn jede Gemeinde das Rad neu erfinden?

Ich sehe auch für mich persönlich sehr stark die Aufgabe, „Service-Anbieter“ für unsere Engagierten in den Kommunen zu sein, hier zu vernetzen, zu informieren und Ideen zu diskutieren. Dafür habe ich zahlreiche Austausch- und Informationsveranstaltungen angeboten, von Themen wie „Zone 30“ über „Nahverkehrsplan“ bis hin zu „Pop-Up-Bikelanes“.

Eine gute Verkehrspolitik ist sozial gerecht und inklusiv, eine gute Verkehrspolitik eröffnet Räume für soziales und wirtschaftliches Zusammenleben. Sie ist ein Baustein für eine gerechte Gesellschaft und für ein gutes Leben für alle.