Wie die Verkehrswende gelingt

Foto: Fabian Norden

Verkehrsberuhigung für mehr Klimaschutz und Lebensqualität

[Anmerkung vom 14.12.23: Seit dem Erscheinen des Essays hat die Union im Bundesrat die im Text erwähnte Reform des StVG und die StVO blockiert. Wir Grüne setzen nun auf den Vermittlungsausschuss.]

Kürzlich hat der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung wieder einmal bestätigt: Im Bereich Verkehr steht es nicht gut mit dem Klimaschutz, bei der Reduktion von Treibhausgasen. Konkret haben die Expert*innen zum Beispiel kritisiert, dass bisher kein bundesweites Tempolimit auf Autobahnen und keine Regelgeschwindigkeit „Tempo 30“ innerorts kommt.

Die Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor reichen nicht aus

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, das Straßenverkehrsgesetz (StVG) zu novellieren, um das enge Korsett, das die deutsche Verkehrspolitik einengt, etwas zu lockern und mehr Raum für nachhaltige Mobilität zu schaffen. Das Gesetz und die zugehörige Straßenverkehrsordnung priorisiert und privilegiert derzeit den Autoverkehr gegenüber allen anderen Verkehrsarten. Der Straßenneubau hat politische Priorität, die Verkehrsregeln bevorrechtigen die „Sicherheit“, vor allem aber die „Leichtigkeit“ des motorisierten Verkehrs (§6 Abs. 1 StVG).

Der Entwurf für ein geändertes StVG liegt nun vor und soll demnächst beschlossen werden. Es enthält einige Schritte in die richtige Richtung und berücksichtigt neben der „Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs“ nun auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung. Allerdings ist für eine stärkere kommunale Mitwirkung und einen echten Paradigmenwechsel noch mehr notwendig!

Derzeit wird ebenfalls die angepasste Straßenverkehrsordnung (StVO) zwischen Bund und Ländern abgestimmt und voraussichtlich noch in diesem Jahr im Bundesrat beschlossen. Wie weit es dem FDP-geführten Verkehrsministerium hier gelingt, die gesetzliche Grundlage für echten Klimaschutz zu schaffen und die Vorzeichen von „Auto“ auf Rad-, Fußverkehr und Öffentliche umzudrehen, bleibt abzuwarten – wir werden das Gesetzgebungsverfahren in diesem Herbst aufmerksam mitverfolgen.

Denn um unsere Klimaziele zu erreichen und den Ausstoß klimaschädlicher Abgase zu reduzieren, brauchen wir grundlegendes Umdenken. Eine echte, nachhaltige Verkehrswende ist viel mehr als Klimaschutz: mit den richtigen Maßnahmen gewinnen wir einen gesunden Lebensraum, Platz zum Beisammensein, gute Luft, Hitzeschutz und schützen die schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen. Außerdem erhöhen wir die Sicherheit für alle Menschen, in dem wir die „Vision Zero“, das Ziel von Null Verkehrstoten verfolgen.

Wir brauchen eine Reduktion des Autoverkehrs: für das Klima und für die Menschen in den Orten und Städten.

Was zu tun ist, ist längst bekannt. Zusätzliche Straßen fürs Auto führen nicht zur Entlastung des Verkehrs, sondern produzieren nur mehr Autoverkehr und mehr Wegstrecken, die mit dem Auto zurückgelegt werden. Seit den 60er Jahren gibt es Studien dazu. Dabei ist eines konstant im Mobilitätsverhalten, wie die Untersuchungen zeigen: Die tägliche „Unterwegszeit“ von Menschen ändert sich nicht (ca. 80 min am Tag), dafür aber die in dieser Zeit zurückgelegten Wegstrecken. Das heißt: je schneller ein Ziel zu erreichen ist, desto größere Strecken werden auch zurückgelegt.

Die Automobilität, insbesondere die Menge an privaten Autos ist ein Hemmschuh für die Verkehrswende. Klar ist: Die unbeschränkte, private Nutzung des Autos auf der Straße – und fürs Parken – bedeutet einfach zu viel Ressourcenverbrauch, zu viel Platzverbrauch, zu viel Energieverbrauch. Das Auto soll den Personen und Funktionen vorbehalten bleiben, die es wirklich brauchen und die keine Alternative haben.

Bereits die Studie „Mobilität in Deutschland“ von 2017 der Bundesregierung hat gezeigt: Menschen mit höherem Einkommen haben öfter ein Auto; Menschen mit Migrationshintergrund hingegen seltener. Die Autonutzung und die mit dem Auto zurückgelegte Wege, z.B. das Pendeln zur Arbeit, steigen mit dem Einkommen.

Die Verkehrswende ist die Teilhabe der Vielen

Aus Erhebungen wissen wir: insbesondere Kinder und hochbetagte Menschen über 80 sind auf gute Wege zu Fuß angewiesen. Zudem gibt es signifikant unterschiedliches Verkehrsverhalten zwischen den Geschlechtern. Frauen haben andere „Bewegungsmuster“ und legen andere Wege zurück als Männer, sie gehen häufiger zu Fuß und nutzen häufiger den ÖPNV. Männer nutzen häufiger das Auto. Auch Menschen mit Migrationshintergrund nutzen häufiger den „Umweltverbund“ (ÖPNV, Rad, zu Fuß) als der Durchschnitt und besitzen seltener ein eigenes Auto (MiD, 2017).

Das bedeutet: Wenn wir die Nutzung des ÖPNV bequem, einfach, sicher und günstig machen, wenn wir gute Radwege und barrierefreie, sichere und abwechslungsreiche Fußwege bereitstellen, dann machen wir es für alle einfacher, sich fortzubewegen, unabhängig vom Einkommen und von der persönlichen Situation. Eine nachhaltige Verkehrswende schützt nicht nur das Klima, sondern ist auch sozial gerecht.

Wie die Umgestaltung des öffentlichen Raums mehr Teilhabe aller Menschen erreichen kann, zeigt z.B. Umgestaltung in Vitoria-Gasteiz (Baskenland). Dort hat sich der Anteil an Rad fahrenden Kindern, älteren Menschen und Frauen durch die Verkehrsberuhigung deutlich erhöht. Die Stadt hat 2009 einen „Plan zur Förderung nachhaltiger Mobilität“ mit zahlreichen Maßnahmen aufgestellt. Ziel: weniger Autoverkehr. In Vitoria-Gasteiz hat seither eine neue Straßenbahn den Betrieb aufgenommen genommen, es gibt ein dicht getaktetes Busliniennetz. Die Stadt hat außerdem 150 Kilometer Radwege gebaut und Fahrradständer aufgestellt, Fußgängerzonen ausgeweitet und Autoparkplätze in Flächen zum Spielen und Begegnen umgewandelt. Die Stadt hat dafür 2012 die EU-Auszeichnung „European Green Capital“ erhalten.

Konsequente Verkehrsberuhigung verschiebt den modal split

Regulierung des Verkehrs wird allerdings oft sehr technisch betrachtet, Wege, Fahrzeuge und Mengen gezählt. Was oft in den Planungen fehlt, ist der Faktor „Mensch“, d.h. die Änderungen in Gewohnheiten und im Verkehrsverhalten, die durch bestimmte Maßnahmen ausgelöst werden. Immer mehr, immer längere Wege sind kein Automatismus, denn Verkehr ist mehr als reine Physik! Ein wichtiges Element für die Umsetzung verkehrsberuhigender Maßnahmen ist daher eine gute Kommunikation und eine konsequente Beteiligung vieler Betroffener, der Wissenschaft und der Politik.

Eine neue Metastudie des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) zeigt: Verkehrsberuhigung wirkt, der Verkehrskollaps bleibt aus. Die Studie hat wissenschaftlich begleitete Verkehrsversuche zur Verkehrsberuhigung in ganz Deutschland und Europa ausgewertet. Das Ergebnis: sinnvolle, konsequente Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung führen nicht nur zu einer Verlagerung des Autoverkehrs, sondern zu einer „Verkehrsverpuffung“ (traffic evaporation) und können mittel- und langfristig zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung der Menschen führen: weg vom (eigenen) Auto, hin zu mehr Wegen zu Fuß, mit dem Rad oder mit den Öffentlichen. Dabei gilt: je attraktiver, je einfacher und bequemer ein Weg ist, sei es ein Fuß- oder Radweg oder sei es eine Straße, desto lieber nutzen wir ihn für unsere täglichen Wegstrecken.

Konkret hat die Untersuchung ergeben: Die analysierten Projekte konnten den Kfz-Verkehr zwischen 15 und 28 Prozent verringern, die Zahlen variieren je nach Projekt. Ein wesentliches Ergebnis ist: Der Autoverkehr verlagert sich nicht 1:1 auf die umliegenden Straßen, sondern „verschwindet“ zum Teil, indem die Menschen andere Wege und andere Verkehrsmittel wählen oder auf Wege verzichten. Entlastungseffekte nahmen mit der Zeit zu, innerhalb einiger Jahre ging die Autobesitzquote zurück (so z.B. im belgischen Gent).

Eine gelungene Verkehrsberuhigung bedeutet weniger Stau: der verbleibende motorisierte Verkehr, wie der Lastverkehr und notwendige private Autofahrten, fließt besser. Diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind, Lieferverkehr und Busse kommen besser voran.

Wie die Forscher*innen feststellten, hatten die Verkehrsprojekte zudem weitere Effekte, nämlich gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale: die Luftqualität (v.a. die Belastung mit Stickoxiden) verbesserte sich; der städtische Straßenraum gewann an Lebensqualität zurück; Einzelhandel und Gastronomie profitierten, persönliche Begegnungen in der Nachbarschaft nahmen zu.

Grundsätzlich kann man bei den verkehrsberuhigenden Maßnahmen „flächenhafte Verkehrsberuhigung“ von einzelnen Quartieren oder ganzen Innenstädten unterscheiden von einer „linienhaften Verkehrsberuhigung“, d.h. der Umgestaltung einzelner Straßen. Beispielhafte flächenhafte Verkehrsberuhigung sind z.B. die „Superblocks“ in Barcelona, das Projekt „Ottensen macht Platz“ in Hamburg oder die Low Traffic Neighbourhoods in London.

Auf dem Weg zu menschengerechten Städten und Orten

Die neue Forschung zeigt: der Weg zu Orten und Städten mit weniger Autoverkehr ist möglich. Notwendig ist dafür eine breite Perspektive, die es den Menschen einfach und bequem macht, kurze Wege in ihrer Umgebung zu Fuß, mit dem Rad oder den Öffentlichen zurückzulegen. Gleichzeitig ist klar: dem Autoverkehr müssen die Privilegien genommen werden. Beispiele für Maßnahmen bei einer flächenhaften Verkehrsberuhigung können zum Beispiel sein:

  • Modale Filter/Durchfahrtssperren (Poller, Blumenkübel, Schranken)
  • Öffnung ganzer Flächen/Innenstadtbereiche/Quartiere für die autofreie Nahmobilität (wie z.B. die „Superblocks“ in Barcelona)
  • Einbahnstraßen-Regelungen
  • Tempolimit von 30 km/h möglichst flächenhaft einführen
  • Neue Aufenthaltsflächen für die Nachbarschaft auf umgestalteten Straßen schaffen
  • Gestaltung des öffentlichen Raums für mehr Aufenthaltsqualität: Begrünung, Sitzgelegenheiten, Brunnen, Beschattung, etc.
  • Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs: gutes, engmaschiges Busliniennetz, Straßenbahnen
  • Verbesserung der Radwege und der Fahrradabstellmöglichkeiten, gutes, lückenloses Radwegenetz mit genügend Fläche ausweisen
  • Mehr Flächen für den Fußverkehr ausweisen, vor allem in Orts- und Stadtzentren, Aufbau eines Fußverkehrsnetzes, Beschilderung von Fußwegen

Bei der derzeitigen Rechtslage in Deutschland gibt es vor Ort einige „Fußangeln“ für die Umsetzung von verkehrsberuhigenden Maßnahmen, besonders wenn die Straße im Ortskern eine Straße von überörtlicher Bedeutung ist und daher die Einführung von Tempo 30 vom Gesetzgeber besonders restriktiv gehandhabt wird. Manchmal kann über eine Lärmaktionsplanung zum Gesundheitsschutz Tempo 30 angeordnet werden.

Die „15-Minuten-Stadt“

Die difu-Studie zeigt, dass verkehrsberuhigende Maßnahmen, die den Autoverkehr stärker regulieren und Räume und Angebote für Rad- und Fußverkehr schaffen, sowie der Ausbau der Öffentlichen zu einem Umstieg auf andere Verkehrsmittel, zur Wahl neuer Wege führen und damit zur erwünschten Verschiebung im modal split.

Ziel ist die Umgestaltung von Stadt- und Ortszentren und Quartieren zur „15-Minuten-Stadt“ oder „Stadt der kurzen Wege“ wie in Paris. Darunter versteht man ein Stadtplanungskonzept, in dem alle wichtigen Besorgungen in der Nachbarschaft, idealerweise innerhalb von 15 Minuten ohne Auto erreichbar sind, also zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen. Mit diesem Konzept werden größere Städte dezentraler und entwickeln ihre Stadtteilzentren, kleinere Orte holen die wichtigen Dienstleistungen wieder in die Ortsmitte zurück.

Zum Nachlesen:

Dieser Artikel ist als Gastbeitrag für kommunale grüne Verkehrspolitik im Oktober 2023 erschienen.