Der Bundesgesetzgeber hat die Straßenverkehrsordnung reformiert. Sein Ziel ist, den Kommunen mehr Handlungsmöglichkeiten für Verkehrsberuhigung einzuräumen. Das betrifft, Tempo 30, Zebrastreifen aber auch Fuß- und Radwege, Busspuren und anderes. Damit soll mehr Lebensqualität in den Kommunen geschaffen und Verkehr sicherer gemacht werden. Insbesondere für Kinder, Radfahrende und Senior*innen.
Diese Änderung ist ein großer Erfolg der Grünen in der ehemaligen Ampelregierung. Zwar wollten wir viel weitergehende Freiheiten für die Kommunen. Leider konnten nur kleine Verbesserungen erreicht werden, auch aufgrund des Widerstands der CSU im Bundesrat, dessen Zustimmung für die Änderung erforderlich war. Dazu haben Bundestag und Bundesrat das Straßenverkehrsgesetz StVG, die Straßenverkehrsordnung StVO und die entsprechende Verwaltungsvorschrift VwV-StVO geändert.
Bayern hat mir Anfrage erklärt, dass die Änderungen „zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe“ enthalte und „hinreichende Bewertungskriterien“ fehlten. Daher plane das Bayerische Innenministerium „ergänzende Hinweise in Form eines IMS“ (Innenministerielles Schreiben) an die zuständigen Straßenverkehrsbehörden zu senden, um deren Handlungsmöglichkeiten zu „konkretisieren“.
Diese „Konkretisierung“ lässt Alarmglocken schrillen. Zu befürchten ist eine größtmögliche Einengung der neu gewonnen kommunalen Handlungsspielräume. Schon im Bundesrat hat sich die CSU misstrauisch massiv gegen kommunale Freiheiten und gegen Verkehrsberuhigung eingesetzt. Die schnelle Autofahrt scheint der CSU viel wichtiger zu sein als der Schutz insbesondere von Kindern und Familien, Senior*innen und Menschen mit Behinderungen vor Unfällen, wichtiger als die Lebensqualität und die innerörtliche Entwicklung unserer Gemeinden und Städte.
Daher befürchte ich, dass wir künftig in Deutschland noch uneinheitlichere Verkehrsregeln auf der Straße erleben werden, als bislang schon. Schon heute ist es bspw. in Baden-Württemberg der Normalfall, dass am Ortseingang ein 30-Schild hängt und kurz danach ein stationärer Blitzer. In Bayern ist das höchst selten. Bald könnte es so sein, dass im restlichen Deutschland z.B. viele Zebrastreifen den Menschen die Querung der Durchgangsstraßen erleichtern und den Verkehr beruhigen – nur in Bayern nicht.
Dabei kann eine wohlwollende und weite Auslegung der neuen Regeln sehr viele Gefahrenpunkte beseitigen und proaktiv die Sicherheit für alle verbessern: hochfrequentierte Schulwege können durch Verkehrsberuhigung und sichere Übergänge die Kinder nicht nur schützen, sondern sogar dazu anregen, zu Fuß zur Schule zu kommen statt mit dem Auto. Es bietet sich nun die Möglichkeit, an viel mehr Stellen Zebrastreifen einzurichten. Die neuen Möglichkeiten, außer der Verkehrssicherheit auch Flächen für Fuß- und Radverkehr „aus Gründen des Umwelt-, Gesundheits-, oder Klimaschutzes sowie der geordneten städtebaulichen Entwicklung“ zur Verfügung zu stellen, sollten ausgeschöpft werden, damit die Kommunen vor Ort die Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessern können.
Ich fordere Bayerns Innenminister Joachim Herrmann auf, bei der beabsichtigten „Konkretisierung“ der Handlungsspielräume von einer Einengung der vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen Möglichkeiten der Kommunen abzusehen und allenfalls dahingehend zu „konkretisieren“, dass den Kommunen die Anwendung der neuen Möglichkeiten möglichst vereinfacht wird und sie möglichst große Spielräume erhalten.