Untersuchungsausschuss „Stammstrecke“

Hände am Plan Bahnhofsbauwerk 2. Stammstrecke München

Am 26. Januar konstituierte sich der Untersuchungsausschuss (UA) zur 2. S-Bahn-Stammstrecke in München, deren Einsetzung am 14. Dezember im Plenum beschlossen wurde. Dr. Markus Büchler, MdL, vertritt darin gemeinsam mit Dr. Martin Runge, MdL, die grüne Fraktion im Bayerischen Landtag.

Mit dem vierten Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode, dem UA-Stammstrecke, sollen die im Sommer 2022 bekannt gewordenen Kostensteigerungen und Verzögerungen der Inbetriebnahme beim Bau der 2. S-Bahn-Stammstrecke in München untersucht werden.

UPDATE 25.05.2023: Zeugenvernehmungen gehen in die finalen Runden

Die Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss Stammstrecke, der die Kostensteigerungen und Verzögerungen der Inbetriebnahme beim Bau der 2. S-Bahn-Stammstrecke in München untersucht, gehen in die finale Runde.

In den letzten Wochen wurden mehrere Beamte des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr (StMB) sowie der Staatskanzlei vernommen. Aus der Staatskanzlei wurde im Jahr 2020 die Maßgabe erteilt, Nachfragen gegenüber der Deutschen Bahn zum Projektstand sowie zur Einrichtung eines Spitzengespräches bis nach der Bundestagswahl dilatorisch, also verzögernd, zu behandeln. Der Grund hierfür geht aus einem weiteren Vermerk des StMB hervor, indem das Projekt als „kein Gewinnerthema im Wahlkampf“ beschrieben wird. Zu diesem Zeitpunkt stand noch eine mögliche Kanzlerkandidatur von Markus Söder im Raum. Die Einbindung von Staatsbeamten in solche parteipolitischen Manöver hat in einem Organ des Freistaats absolut nichts verloren. Anstatt also aktiv nachzufassen und gegenüber der Deutschen Bahn Druck zu erzeugen, um schnell Klarheit über die drohenden Kostensteigerungen zu erhalten, zog es die Staatsregierung vor über mehrere Jahre die Füße still zu halten.

Und das, obwohl Kenntnisse über die massiven Verspätungen und Kostenexplosionen regierungsintern bereits früh vorlagen: Die aus Expertinnen und Experten bestehende und vom Freistaat eigens zur Überprüfung des Baufortschritts eingesetzte Baubegleitung warnte das Verkehrsministerium in regelmäßigen Berichten seit dem Jahr 2019 vor den Komplikationen im Projektfortgang. Nichtsdestotrotz zog man es in der Staatskanzlei vor, weder die Öffentlichkeit noch den Landtag darüber zu informieren.

Man habe sich dafür entschieden die Abgeordneten lieber im Dunkeln zu lassen, als sie durch Wasserstandberichte unnötig zu „verwirren“. Diese anmaßende Aussage ist nicht nur eine Beleidigung gegenüber den Abgeordneten, sondern auch eine Missachtung der Kontrollfunktion des Parlaments. Aus den Befragungen wurde sogar klar, dass Anfragen der grünen Landtagsfraktion aus dem Jahr 2019 nachweislich falsch beantwortet wurden. Hier beharrte man trotz Ermittlungen der Baubegleitung, die bereits auf das Jahr 2034 als Inbetriebnahme Termin hinwiesen, auf eine Fertigstellung im Jahr 2028.

Als Gründe für die Verspätungen und Kostensteigerungen wurde seitens der Staatsregierung unter anderem gerne auf die mit der 2. Stammstrecke verknüpften Planungen eines Vorhaltebauwerks für eine neue U-Bahnlinie der Landeshauptstadt München hingewiesen. Aus der Vernehmung des MVG-Chefs Ingo Wortmann wurde klar, dass die Stadt massiv seitens des Freistaates unter Druck gesetzt wurde, einen Finanzierungsbeschluss für das Projekt vorzulegen, ohne dass bisher eine Förderzusage durch den Bund besteht. Das Vorhaltebauwerk am Hauptbahnhof war jedoch nie der kritische Pfad für die rechtzeitige Inbetriebnahme, sondern vielmehr die Röhre vom Marienhof zum Leuchtenbergring, für die bis heute keine Baugenehmigung vorliegt.

Das der Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) unterstellte Betriebskonzept der 2. Stammstrecke, so wurde uns von einem leitenden Mitarbeiter des StMB bestätigt, war von vornherein nicht fahrbar. Aus diesem Grund wurden im Jahr 2019 die massiven Umplanungen und Projektausweitungen beschlossen. Warum sich an diese veränderte Kostenlage keine neue NKU anschloss, konnte uns bisher nicht beantwortet werden.

In der letzten Woche startete die Vernehmung der politischen Zeugen mit dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. An ihn kommunizierte die damalige Staatsministerin für Verkehr, Kerstin Schreyer, im Jahr 2020 die absehbaren Inbetriebnahme Verzögerungen und Kostensteigerungen. Leider konnte sich Herr Scheuer dabei weder an das erfolgte Telefonat noch an die Warnungen der Ministerin in Briefform erinnern. Den Nachweis, dass beide Kommunikationen erfolgt sind, erbrachte jedoch im Anschluss sein Amtsnachfolger Volker Wissing, der die Dokumentation des Telefon- und Briefeingangs im Ministerium durch Aktenvermerke nachvollziehen konnte.

Die Befragungen der bayerischen Verkehrsminister, sowie des Ministerpräsidenten Söder werden in den kommenden Wochen erfolgen und die Zeugenvernehmungen damit abschließen.

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass der Untersuchungsausschuss richtig und wichtig war und dass die Öffentlichkeit bewusst im Unklaren gelassen wurde.


UPDATE 23.03.2023: Erste Zeugenvernehmungen

Am Donnerstag, den 23.03., begann die Sitzung mit der Befragung eines Gutachters des Instituts Intraplan Consulting GmbH. Dieses Institut war maßgeblich an der Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) beteiligt, die den Bundesrechnungshof (BRH) 2018 zu seiner Beurteilung bewogen hat, die zweite Stammstrecke hätte nicht durch den Bund gefördert werden dürfen. Auffällig war, dass innerhalb dieser NKU keine sogenannte Sensitivitätsprüfung durchgeführt wurde, die sich bei einem so knappen Ergebnis von 1,05 laut BRH aufgedrängt hätte. Der Gutachter verwies darauf, dass für die Durchführung einer solchen Prüfung kein Auftrag der Zuwendungsgeber, also Freistaat und Bund, vorlag.

Der zweite Zeuge am Donnerstag war ein Ministerialbeamter des StMB, der Leiter der Projektgruppe Baubegleitung 2. S-Bahn-Stammstrecke ist. Er hat gerade im vergangenen Jahr viele Vermerke erstellt, die sich mit der Kostenexplosion um das Doppelte und der Bauzeitverlängerung bis 2037 befassen. Aus der Vernehmung ergab sich deutlich der Eindruck, dass bei dem Projekt zweite Stammstrecke ein Aufsichtsproblem über die Arbeit der Deutschen Bahn herrschte: Obwohl eine Baubegleitung seitens des Staatsministeriums eingerichtet wurde, die die Projektleitung überwachen sollte, wurde diese ihren Pflichten nicht gerecht. Die Daten von der Deutschen Bahn wurden erst schleppend, dann unstrukturiert und unvollständig übermittelt. Anstatt hier entschlossen aufzutreten, um die benötigten Informationen zu erhalten und das Projekt ordentlich beaufsichtigen zu können hat die Staatskanzlei darauf bestanden die Bahn nicht weiter dazu zu drängen einen Sachstand abzugeben.

Am Freitag, den 24.03. wurden zwei weitere Vertreter der vom Staatsministerium eingesetzten Baubegleitung vernommen, deren Aussagen die Eindrücke des Vortages unterstützen. Das kontrollierende Gremium hatte weder die notwendigen Informationen, um sachgemäß arbeiten zu können, noch wurden echte Anstrengungen seitens der Staatskanzlei unternommen diesem Zustand ein Ende zu setzen. Außerdem wurde durch die Vernehmungen offenbart, dass die Baubegleitung des StMB die Kosten für den Bau der 2. Stammstrecke bereits Ende 2021 auf bis zu 8,5 Milliarden Euro geschätzt hat. Trotzdem wurde seitens der Bahn auf eine davon abweichende öffentliche Kommunikation gedrängt, die Teuerungsrate und Risikokosten nicht miteinbezieht. Somit wurde für die Kommunikation nach außen eine deutlich niedrigere Summe von unter sechs Milliarden Euro vorgeschlagen. Das Bauministerium ist dem Vorschlag insoweit gefolgt, als dass von offizieller Seite bis heute nur Kosten in Höhe von 7,2 Milliarden (also ohne Teuerungsrate) genannt wurden. Zuletzt stellte Dr. Ulrich Baumgärtner (Teil der Baubegleitung) fest, dass die Inbetriebnahme der 2. Stammstrecke mindestens bis 2037 dauert.

Weiterhin wurde am Freitag der Leiter des Eisenbahn-Bundesamtes in den Landtag geladen. Die Vernehmung war wenig ertragreich, vielmehr waren die Mitglieder des Untersuchungsausschusses erstaunt über die weitreichende Unkenntnis des Zeugen, so kannte dieser den Bericht des Bundesrechnungshofes beispielsweise nur vom „Hörensagen“. Frappierend, angesichts der Tatsache, dass diese Behörde für Planfeststellungsverfahren zuständig ist, alle Unterlagen zu prüfen hat und schließlich entscheiden muss, ob das Bauvorhaben zulässig ist.

Des Weiteren wurde ein Ministerialrat des Bundesrechnungshofes vernommen, der für die Prüfung der Nutzen-Kosten-Untersuchung des Projektes Stammstrecke 2018 verantwortlich war. Der Zeuge untermauerte erneut die Aussagen aus dem vorgelegten Bericht des BRH. Demnach gab es in der Nutzen-Kosten-Untersuchung 2016 klare Verstöße gegen das Verfahren der standardisierten Bewertung und die NKU 2016 stand somit nicht im Einklang mit dem Regelwerk. 

Dr. Markus Büchler, MdL über die erste Sitzungswoche des UA Stammstrecke


Im Oktober 2016 vereinbarten Bund und Freistaat die gemeinsame Finanzierung für das Großprojekt. Dem zugrunde lagen die von der Deutschen Bahn AG ermittelten Gesamtkosten von 3,849 Milliarden Euro. Bereits hier wurden wohl Risikokosten nicht berücksichtigt, so die Kritik des Bundesrechnungshofes. Im Juni 2022 wurden erstmals Bauverzögerungen und Kostensteigerungen öffentlich bekannt, es wurden Kosten von mehr als sieben Milliarden Euro und einer Inbetriebnahme im Jahr 2037 der Öffentlichkeit mitgeteilt. Selbst diese Angaben gelten mittlerweile als überholt.

Der Untersuchungsausschuss soll insbesondere klären, wann und wie die Staatsregierung davon zuvor in Kenntnis gesetzt wurde, ob und wie sie sich mit den Ursachen und Konsequenzen der Teuerungen und der späteren Inbetriebnahme um ein Jahrzehnt auseinandergesetzt hat und ob sie damit ihrer Verantwortung im Umgang mit Steuermitteln gerecht wurde. Sollte sich beim Untersuchungsausschuss „Stammstrecke“ herausstellen, dass die Informationen über die Kostensteigerungen beim Bau bereits frühzeitig vorgelegen haben und der Bevölkerung des Freistaats bewusst unterschlagen wurden, so der Verdacht der Abgeordneten Dr. Markus Büchler, MdL und Dr.Martin Runge, MdL, dann würde das den Ministerpräsidenten schwer belasten.

Der Bundesrechnungshof hat einen Untersuchungsbericht vorgelegt, in dem eine richtige Berechnung des Projekts im Jahre 2016 eine Förderung des Bundes ausgeschlossen hätten. Ebenso zu untersuchen ist auch, wann die Weichen gestellt worden sind, die zu der Bauzeitverzögerung um mehr als 10 Jahre geführt haben und wann die Staatsregierung dies in Kauf nahm, ohne gegenzusteuern. Der Fragenkatalog beschäftigt sich ebenfalls damit, ob überhaupt Alternativen zu der Zweiten Stammstrecke ernsthaft in Erwägung gezogen wurden, die zu einer schnelleren und sinnvolleren Entlastung für die Nutzer der in die Jahre gekommenen S-Bahn geführt hätten. Auch werden die Auswirkungen auf andere Verkehrsprojekte in Bayern geprüft, die der Zweiten Stammstrecke zum Opfer fallen.